Unser Ziel: Persönliche Kontakte in den Vordergrund stellen
„In der Flüchtlingsarbeit möchte ich mich engagieren, weil ich es unglaublich wichtig finde, geflüchtete Menschen dabei zu unterstützten, sich in einem neuen kulturellen und sprachlichen Umfeld zurechtzufinden“, sagt Alexander Busold, der im ersten Jahrgang des Projektes „Unsere Zukunft. Mit Dir!“ (UZMD) als Stipendiat der Studienstiftung des deutschen Volkes zum Lotsen geschult wurde. Mit dem Patenschafts-Projekt haben Alexander und andere Berliner Lots/innen es sich vorgenommen, Einheimische und neue Bewohner der Berliner Kieze zusammenzubringen und damit eine Grundlage für ein respektvolles Zusammenleben zu schaffen. Einen tieferen Einblick in seine Motivation, Herausforderungen und Erfolge des Projektes gibt Alexander in einem Interview.

Welchen Schwerpunkt haben Sie für Ihre Aktion gewählt und warum?
Wir haben Patenschaften, beziehungsweise Kulturtandems, zwischen Geflüchteten, die kürzlich nach Berlin gekommen sind, und Berliner Studierenden vermittelt und betreut. Unsere Idee war es, spannende Begegnungen und einen Kulturaustausch zu ermöglichen. Ein weiteres Ziel ist es, den geflüchteten Menschen das Ankommen in Berlin zu erleichtern durch den persönlichen Kontakt zu einem anderen Menschen, der hier und da Tipps geben kann, beim Erlernen der Sprache hilft, oder bei der Bewältigung der Bürokratie – oder einfach durch einen schönen Nachmittag, an dem man ein neues Stadtviertel erkundet.
Die Patenschaften sind idealerweise aber nicht nur für die Geflüchteten eine Bereicherung, sondern auch für die Paten und Patinnen, die die Gelegenheit haben jemanden aus einem anderen Land und anderer Kultur kennenzulernen, Berlin mit neuen Augen zu entdecken, jemandem einfach helfen zu können, in manchen Fällen eine neue Sprache zu lernen, oder mit etwas Glück ein neues Lieblingsgericht zu finden.
Was motiviert Sie dazu, sich dieser Aktion zu widmen? Was ist Ihnen wichtig?
Uns war wichtig selbst aktiv zu werden und geflüchteten Menschen zu helfen. Dabei wollten wir den persönlichen Kontakt und den einzelnen Menschen in den Vordergrund stellen, denn bei dem politisch heiß umkämpften Flüchtlingsthema gerät das schnell in den Hintergrund. Auch waren wir gespannt, inwiefern es klappen kann mit Menschen, die sich vorher noch nie gesehen haben, zusammen zu kochen, sich kennenzulernen, und über einen gewissen Zeitraum zu sehen und auszutauschen. Der persönliche Kontakt und Austausch sind dabei wirklich der Kern der Patenschaften, und auch ganz allgemein elementar für ein gelingendes Zusammenleben in diversen Gesellschaften. Patenschaften können dadurch vielleicht auch für das abstrakte Ziel der Integration einen Beitrag leisten. Denn die Patenschaften wirken im Hinblick auf Integration nicht nur dadurch, dass Geflüchtete unterstützt werden sich an einem neuen Ort zurechtzufinden. Sondern sie tragen optimalerweise auch dazu bei Diversität und Unterschiedlichkeit als etwas Wertvolles zu begreifen.
Dadurch ändert sich vielleicht bei der ein oder anderen Person auch das Verständnis dessen, was unter dem Begriff Integration verstanden wird. Denn in Deutschland wird von Zugewanderten leider viel zu oft Assimilation statt Integration gefordert. Das heißt, dass häufig implizit die komplette Anpassung unter weitgehender Aufgabe der bisherigen Kultur erwartet wird. Wer kein Schweinefleisch isst, kein Alkohol trinkt oder nicht-christliche religiöse Feiertage feiern möchte, steht häufig unter permanentem Rechtfertigungsdruck. Und wessen Akzent verrät, dass Deutsch nicht die Muttersprache ist, hat es viel schwerer auf dem Arbeits- oder Wohnungsmarkt. Viele Deutsche erwarten also von Zugewanderten implizit viel mehr als nur ein friedliches Zusammenleben unter Achtung der Verfassung und der geltenden Gesetze. Vielleicht geben die Patenschaften hier und da Anstoß Assimilationserwartungen über Bord zu werfen.
Welches Feedback haben Sie von den Teilnehmenden bisher bekommen?
Nach der Vermittlung haben wir die Patenschaftspaare weiter betreut, z.B. durch gemeinsame Unternehmungen in Kleingruppen wie Kochen, Fahrradtouren, Stadtführungen, Tretbootfahren, Museumsbesuche, etc. Das Feedback war häufig sehr positiv, besonders zu den Kochveranstaltungen, die fast allen großen Spaß gemacht haben. Auch haben viele Paare sich über längere Zeit getroffen und intensiven Austausch gehabt.
Einige Patenschaften haben jedoch auch nicht gut funktioniert und wurden nach kurzer Zeit beendet. Das lag unter anderem an der zeitlichen Verfügbarkeit, sowohl der Paten, als auch der Geflüchteten, oder es hat persönlich nicht gepasst.
Wir Organisatoren haben insgesamt ziemlich viel gelernt und einige unserer Erwartungen und Annahmen über den Haufen geworfen. Die öffentlich geführten Debatten und viele Vorstellungen von Integration, inklusive unserer, gingen zumindest zu einem großen Teil an der Realität vorbei. Viele Dinge, die elementar für eine gelungene Integration gelten, wie Sprachkenntnisse, Arbeit, Wohnen, etc., waren für einige der teilnehmenden Geflüchteten von relativ geringer Bedeutung, und das konnte ich sehr gut verstehen. Zum Beispiel ist der Heimatort von zwei Geflüchteten, indem der Großteil ihrer Familie weiterhin lebt, immer noch in sehr kritischer Lage. Verständlich, dass ihnen deswegen gerade wichtiger ist, ob ihre Familien noch leben, und wie sie kurzfristig schnell Geld verdienen können, um es ihnen zu schicken, als zu überlegen, welche Ausbildung sie jetzt anfangen sollen, um dann in zwei oder drei Jahren hier einen guten Job zu finden. Wenn es für Deine engsten Angehörigen gerade um Leben und Tod geht, ist Dein Zeithorizont nun einmal kürzer, als es aus der eher längerfristigen Integrationsperspektive notwendig wäre.
Nach Ihrer Einschätzung, ist es Ihnen gelungen, Ihre Ziele zu erreichen?
Insgesamt sind wir sehr zufrieden, denn wir haben viele positive Rückmeldungen erhalten. Wir haben insgesamt etwa 22 Patenschaften mit 45 Teilnehmenden vermittelt und etwa 15 Veranstaltungen durchgeführt. Wir überlegen nun, inwiefern wir das Projekt fortführen.
Das Projekt hat mir viel Freude bereitet, mein Dank dafür gilt vor allem den anderen Teammitgliedern! Diese sind v.a. die Stipendiatinnen des Avicenna-Studienwerks: Ayse Delikaya, Ayse Harmanci, Beria Ulusoy, Lyla Abu-Yahya, Neslihan Altun und Sude Yildiz.